Michaela Bauer hat dem 16-jährigen Artem Grebenjuk aus dem ukrainischen Charkiw eine Lehrstelle angeboten.
HWK-Bytschenko
Michaela Bauer hat dem 16-jährigen Artem Grebenjuk aus dem ukrainischen Charkiw eine Lehrstelle angeboten.

Krieg in der UkraineVom Krieg ins Malerhandwerk

2200 Kilometer trennen Lappersdorf und Charkiw im Osten der Ukraine. Doch ein Unternehmen vereint diese beiden ungleichen Orte: die Farben Bauer GmbH & Co. KG. Geschäftsführerin Michaela Bauer hat im März Artem Grebenjuk aus Charkiw ein Praktikum angeboten – und das war nur der Anfang. Als der Krieg am 24. Februar ausgebrochen ist, floh der 16-Jährige mit seiner Mutter über Polen nach Regensburg. Sein Vater musste in der Ukraine bleiben, um sich um den pflegebedürftigen Opa und die Oma zu kümmern. Sie konnten in den vergleichsweise sicheren Westen des Landes fliehen. Michaela Bauer hat einen Freund, der selbst vor vielen Jahren aus der Ukraine gekommen ist. „Artems Familie sind Verwandte von ihm“, erklärt sie. Die Geschäftsführerin hat ihr großes Netzwerk eingeschaltet, um die Familie mit allem notwendigen zu versorgen. Bei einem ihrer Kunden wurde sie fündig: Ein Hotel in Regensburg bot den Grebenjuks eine Wohnmöglichkeit. Seit März teilen sich Mutter und Sohn ein Hotelzimmer. Inzwischen arbeitet die Mutter im Hotel als Putzfrau und hofft, bald weitere Aufgaben übernehmen zu können.



Schulabschluss muss warten

Für Artem wurde ebenfalls eine Beschäftigung gesucht. Michaela Bauer bot ihm ein Praktikum an. „Wir haben schnell gemerkt, dass es ihm gefällt und Spaß macht. Auch die Ablenkung hat ihm sicher gutgetan“, sagt sie. Deshalb bot sie ihm einen Ausbildungsplatz zum Maler- und Lackierer an. Seit April lernt Artem Grebenjuk, wie man zum Beispiel Flächen richtig abklebt und Wände schleift. Zwei von insgesamt 38 Mitarbeitern bei Farben Bauer sprechen Russisch und erklären ihm die Aufgaben. Die Sprache überwiegt im Osten der Ukraine. Auch der Aufbau der deutschen Berufsausbildung mit Berufsschule und Praxis musste erklärt werden. Mit seiner Chefin verständigt sich Artem auf Englisch. „Ich erkläre ihm, dass er immer zu mir kommen kann, wenn etwas ist“, sagt Michaela Bauer, die das Geschäft zusammen mit ihrem Mann führt. „Wir haben ja selbst drei Kinder, die im ähnlichen Alter wie Artem sind.“ Zurzeit suchen sie einen Sprachkurs für Artem, der Deutsch bisher nur mit einer App lernt. In der Berufsschule, die für ihn mitten im Jahr begonnen hat, bekommt er Hilfe von einem russischsprachigen Kollegen. „Bei Steuern und sowas verstehe ich noch nichts, aber dafür ist Mathe viel zu leicht. Das haben wir in der 6. Klasse gemacht“, sagt Artem lachend.



Familie wurde nach der Flucht sofort aktiv

„Ich sage zu ihm, dass er später noch entscheiden kann, was er machen möchte. Aber durch die Ausbildung ist die Zeit nicht verloren“, sagt Bauer. Auch sei ein gewisser Rhythmus im neuen Leben nach dem Krieg wichtig. „Aber klar merkt man in ruhigen Momenten, dass die Situation ihm nahegeht und dass er seine Freunde vermisst“, sagt sie. Artem Grebenjuks Freunde sind in verschiedene Länder geflohen, aber sie halten Kontakt. Auch eine Stadt wie Regensburg ist nach Charkiw mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern eine Umstellung. „In Charkiw ist es immer sehr laut. Das erste, was mir in Regensburg aufgefallen ist, war die Ruhe. Diese habe ich mir in der Heimat oft gewünscht“, sagt der 16-Jährige. Sein Haus existiere nicht mehr. „Es wurde zweimal zerbombt. Einmal nur teilweise, beim zweiten Mal dann komplett“, sagt er. Im Februar war er gerade dabei, sich für die Schulabschlussprüfungen vorzubereiten. „Mir schwebte der Beruf Architekt vor. Ich mag es, Häuser zu entwerfen“, erklärt Artem Grebenjuk. In Regensburg hat die Familie dann überlegt, was sie hier machen könnten. Im Beruf des Maler- und Lackierers sieht er inzwischen eine gewisse Basis für die spätere Karriere, die nicht schaden kann. „Auch wenn ich vorher nie über eine solche Ausbildung nachgedacht habe“, sagt er. Michaela Bauer musste für den Azubivertrag bürokratische Hürden nehmen. „Da sollte man einen langen Atem haben und flexibel sein. Wegen Corona dauert alles länger“, sagt sie. Die Geschäftsführerin kennt die Hürden aber auch von ihrer Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Sie engagiert sich für die berufliche Integration und sieht den positiven Einfluss auf die Menschen. „Mein Mann und ich ticken generell so: Durchs Reden kommen die Leut‘ zam. Also habe ich den Telefonhörer in die Hand genommen und die Handwerkskammer angerufen“, sagt Bauer. Die Berater erklärten, welche Dokumente erforderlich sind. So bekam Artem Grebenjuk im April seinen Azubi-Vertrag. Jetzt fehlt nur noch ein Sprachkurs. Dann steht einer dauerhaften Verbindung zwischen Millionenstadt Charkiw und dem Markt Lappersdorf nichts mehr im Wege.