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Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Neue Arbeitszeitmodelle, wie die Viertagewoche, sollen die Work-Life-Balance verbessern und es Unternehmen erleichtern, Fachkräfte zu gewinnen und halten. Doch was gilt es für Arbeitgeber zu beachten?

Neue Arbeitszeitmodelle Chancen und Herausforderungen einer Viertagewoche

Eine bessere "Work-Life-Balance" – das wünscht sich mittlerweile ein Großteil der Erwerbstätigen. Gerade jüngere Arbeitnehmer würden laut aktuellen Studien und Umfragen sogar auf Gehaltsvorteile zugunsten von mehr freier Zeit verzichten. Entsprechend sind neue, flexiblere Arbeitszeitmodelle auf dem Vormarsch. Dass dies auch im Handwerk der Fall ist, das kann Klaus Jocham, Leiter der Beratungsabteilung der Handwerkskammer, bestätigen: "Immer mehr Handwerksunternehmer erkennen, dass sie mit flexiblen Arbeitszeitmodellen bei Bewerbern und Mitarbeitern punkten können." Vor allem in Branchen wie dem Baugewerbe nehme laut Jocham das Modell der Viertagewoche an Beliebtheit zu.



Kampf um die besten Köpfe erfordert Offenheit und Flexibilität

Sorgen und Nöte in Sachen Fachkräftegewinnung waren auch für Kurt und Irene Falter der Beweggrund eine Viertagewoche in ihrem Elektrofachbetrieb einzuführen. "Zwar haben wir, wie viele andere Handwerker auch, proppenvolle Auftragsbücher, doch um geeignete Leute finden und halten zu können, sahen wir keine andere Option", berichtet Kurt Falter. Der ländliche Standort im Landkreis Dingolfing-Landau und die Nähe zum Produktionsstandort eines großen, namhaften Autoherstellers, hätten die Mitarbeitersuche schon immer zusätzlich erschwert. "Zumal wir als kleiner Betrieb gehaltstechnisch nicht mit den Großen mithalten können. Da muss man sich schon was einfallen lassen", so der Elektromeister. Neben einem Prämiensystem für gut laufende Baustellen, betrieblicher Altersvorsorge und einigem mehr, setzt Elektro Falter seit diesem April auf das neue Arbeitszeitmodell. Die Kernarbeitszeit wurde von 40 Stunden auf 39 herabgesetzt, bei gleicher Bezahlung. Während die Kollegen auf den Baustellen nun von Montag bis Donnerstag, täglich 9,75 Stunden, arbeiten, haben sich die Büroangestellten gewünscht, weiter an fünf Tagen die Woche arbeiten zu dürfen. Dass die Umstellung auf das neue Zeitmodell keineswegs einfach war, gibt Kurt Falter zu bedenken.



Das A und O: Organisation und gute Kommunikation

Zunächst einmal gelte es die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden pro Tag einzuhalten, so Irene Falter. Die Anfahrten zu den Baustellen mit einberechnet. "Überstunden gibt es deshalb kaum noch. Es sei denn, ein Auftrag muss unbedingt fertig werden, dann sind Kollegen vereinzelt auch mal außertourlich im Einsatz." Zudem musste der Betrieb sein Zeiterfassungssystem anpassen und alle Arbeitsverträge mit einer Zusatzvereinbarung versehen. Ein ziemlicher Aufwand, so die Falters. Die größte und wichtigste Aufgabe jedoch: Die Kommunikation mit den Mitarbeitern. "Durch die neuen Arbeitszeiten reduziert sich der Urlaub. Ein wichtiges Detail, das wir dem Team erklären mussten." Statt vorher 30 Tage, haben die Angestellten nun nur noch 24 Tage Anspruch. In der Summe komme es mit den freien Freitagen aber aufs Gleiche raus. Auch, dass Feiertage, die auf einen Freitag fallen, keine bezahlten Feiertage mehr sind, da bei einer Viertagewoche der Freitag sowieso kein Arbeitstag ist, führte zu Diskussionen im Betrieb. "Das alles mussten wir genau erklären und klarstellen, sonst wäre es zu Verärgerung im Team gekommen."



Gezielt Unterstützung einholen

Noch befinde sich die Viertagewoche bei Elektro Falter in der Testphase. Ob sie sich auf lange Sicht lohnt, bleibe abzuwarten. Einen positiven Effekt sehen die Falters jetzt schon: Die Mitarbeiter scheinen zufriedener, so ihr Eindruck. Und auch wirtschaftlich rechne es sich: Weniger Fahrten fallen an, der Spritbedarf ist gesunken, gerade aktuell ein Vorteil. "Langfristig darf die Effektivität im Betrieb natürlich nicht leiden", betont Kurt Falter. Interne Abläufe und Prozesse habe der Betrieb schon verschlankt, sonst gehe die Rechnung nicht auf. Auf die Frage, wer sie bei der Einführung der Viertagewoche unterstützt habe, geben die Falters eine klare Antwort: "Learning by doing – eine Art Leitfaden gibt es nicht." Zusätzlich waren ihnen der Steuerberater und der Anbieter ihres Zeiterfassungssystems eine Hilfe. Dass die Handwerkskammer beratend zur Seite gestanden wäre, war den Falters so nicht bewusst. Doch genau dieses Angebot empfiehlt Klaus Jocham aktiv in Anspruch zu nehmen: "Unsere Betriebsberater sind Experten in allen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Fragen. Sicherlich ist die Viertagewoche nicht pauschal für jedes Gewerk gleichermaßen anwendbar. Aber im persönlichen Kontakt können wir bei solchen Vorhaben individuell auf den Betrieb zugeschnittene Ratschläge mit auf den Weg geben."

 

Ein Artikel aus der Deutschen Handwerks Zeitung vom 9. September 2022