HWK-Präsident Dr. Haber fordert klare Perspektiven für das ostbayerische Handwerk in der Corona-Pandemie.
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HWK-Präsident Dr. Haber fordert klare Perspektiven für das ostbayerische Handwerk in der Corona-Pandemie.

Ein Jahr nach dem ersten Lockdown: Ein Interview mit HWK-Präsident Dr. Georg Haber."Jeden Tag rückt für viele der finanzielle Kollaps näher"

Am 21. Januar 2020 wird der erste offizielle Corona-Fall in Deutschland bestätigt, am 11. März 2020 ruft die Weltgesundheitsorganisation den Pandemiefall aus und am 22. März 2020 geht Deutschland in den ersten virusbedingten Lockdown. Dass sich Deutschland und die Welt über ein Jahr später noch immer mit der Pandemie quält, hätte sich damals kaum jemand ausmalen wollen. Auch das ostbayerische Handwerk stellt sich Tag für Tag den Herausforderungen der Corona-Krise. Wie es der "Wirtschaftsmacht von nebenan" so ergangen ist und wie sein Blick in die Zukunft aussieht, darüber spricht HWK-Präsident Dr. Georg Haber.

Wie ist die aktuelle Situation im Handwerk? Wie geht es den Betrieben?

Die Lage ist ernst. Für tausende unserer Betriebe hat sich die Situation durch den zweiten Lockdown dramatisch verschlechtert. Viele Handwerksbetriebe sind seit Wochen geschlossen oder teilgeschlossen. Die Finanzhilfen fließen nicht wie versprochen und die Bedingungen für deren Inanspruchnahme wurden nachträglich geändert und verkompliziert. Zwar haben wir erste Öffnungsschritte beispielsweise bei den Friseuren, aber der Allheilsbringer ist das natürlich noch nicht.

Ist die Lage ernster als beim ersten Lockdown?

Im Frühjahr 2020 konnten die Betriebe noch von ihren Reserven zehren, doch diese sind nun aufgebraucht und mit jedem Tag rückt für viele der finanzielle Kollaps näher.

Die versprochenen finanziellen Hilfen kommen also nicht überall an. Woran hakt es?

Vorneweg: Der Staat hat umfangreiche Unterstützungsangebote zugesagt und zwar die größten weltweit – das verdient Anerkennung. Aber leider hören wir von unseren Betrieben immer öfter, dass sich bei der Durchführung und Auszahlung dieser Hilfen große Probleme zeigen. Weder sind die Hilfen unbürokratisch, noch können sie schnell beantragt werden. Die Regelwerke wurden nach und nach angepasst. Mittlerweile sind die Hilfen so kompliziert, dass selbst Fachleute wie Steuerberater oft ratlos sind. Ganz zu schweigen von einer schnellen Auszahlung. Das stellt ganze Existenzen in Frage.

Was fordern Sie von der Politik?

Verlässliche Perspektiven, echte Wirtschaftshilfen und kein Blendwerk sowie Verständnis für die Situation unserer Handwerksbetriebe. Unsere Betriebe gehen seit Beginn der Pandemie täglich über ihre Grenzen hinaus, sie halten Ostbayern weiter mit am Laufen, haben umfassende Sicherheitskonzepte entwickelt, sichern die Nahversorgung, halten den Arbeits- und Ausbildungsmarkt stabil und zahlen Steuern. Unsere Handwerker tun das alles gerne – allerdings sind auch ihre Kräfte endlich. Klar, die Politik ist in einer schwierigen Situation, weil sie sich verschiedenste Meinungen anhören und in Einklang bringen muss. Aber unsere Betriebe brauchen einen Fahrplan, eine langfristige Perspektive nach dem Lockdown. Da sind wir ja endlich auf einem besseren Weg, ob es reicht, ist noch fraglich.

Befürchten Sie denn eine große Anzahl an Firmeninsolvenzen in 2021?

Das ostbayerische Handwerk ist ein sehr guter Krisenmanager. Aber: Die Pandemie war und ist nach wie vor eine Situation ohne Drehbuch, der Blick in die Glaskugel fehlt. Neben den erwähnten verlässlichen Perspektiven ist zudem entscheidend, ob das Handwerk weiterhin Aufträge bekommt. Fehlen diese, drohen natürlich Insolvenzen. Deshalb mein Appell an die öffentliche Hand und alle Verbraucher: Halten Sie dem Handwerk die Treue! Beauftragen Sie Ihren Handwerksbetrieb vor Ort, kaufen Sie regionale Waren und Dienstleistungen.

Mit Impfungen, Schnelltest und dem kommenden Frühjahr soll es langsam besser werden. Wie ist Ihre Prognose für das Wirtschaftsjahr 2021 im ostbayerischen Handwerk?

Laut unserer letzten Konjunkturumfrage sind die Erwartungen der Betriebe an die kommenden drei Monate auf einen Tiefpunkt gesunken. Was sich deutlich zum vergangenen Pandemie-Jahr unterscheidet. Damals herrschte noch ein optimistischerer Blick in die Zukunft. Durch den zweiten Lockdown sind einige Handwerkszweige akut betroffen. Aber bei allem Pessimismus – ich bin ganz sicher, dass das Handwerk weiterhin seine Stärken ausspielt: Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Kreativität und Pragmatismus. Wir sind davon überzeugt, dass das Handwerk das nötige Rüstzeug besitzt, um diese Krise zu meistern.